Seligpreisung der Sich-Verirrenden. Psalm 1 invers

Wohl dem, der schon vom rechten Weg abkam,
der sich verhedderte, im Leben verzettelte, in Wüsten verwirrte, in Tiefen abschmierte,
und nur so erfuhr, dass Du uns nie verlierst.
Der ist wie eine Blume, blaublühend, ewigschön, windzerzaust. Pflanzung der Freiheit.
Aber so sind die religiösen Besserwisser nicht, noch die in ihrer Frömmigkeit Betonierten,
sondern wie ein Stock, kahl, starr, steif,
der in seinem Rechthaben-Wollen verreckt.
Darum ist es so schwer, mit ihnen zu leben, sie zu lieben, geschweige denn von ihnen geliebt zu werden.
Denn Du hast Dich selbst für uns verirrt, doch wer Dich, Gott, besitzen will, verliert.

 

In Wochen ohne Worte

Nichts. Gar nichts. Leer.
Ich spüre nur kalt und dürr.
Keine Lust. Auf mich, Dich, andere.
Keine Kraft. Zum Weiter-So.
Weder Trotz. Noch Trost.
Kein Wort von Wert.
Atmen nur. Unter Druck. Nur weiter Atmen.
Bis es aufhört. Irgendwann. Vielleicht.
Solange. Sei mein Atem. In Wochen ohne Worte.

 

Morgengebet für Langschläfer

Gott, Du hast den Morgen herrlich gemacht:
Sonnenaufgang, Vogelgesang, Gräser voller Tau.
Doch ich muss leider gestehen: Er ist nichts für mich.
Ich bin ein Morgen-Wunder-Muffel. Vergib.
Gerne wollte ich Dir mein Morgenlob singen,
einstimmen in die alten Hymnen früherer Zeiten.
Doch in meinem Kopf brummt ein Bass.
Jede Zelle in mir sagt: „Nein.“ - wenn sie‘s schon kann.
Sei’s drum. Dann bin eben wie die Eulen.
Und lobe Dich auf ihre Weise.
In der Dämmerung, wenn ihr Flug beginnt.
Mit Phantasien zur Nacht und Denken im Dunkeln.
In Gesprächen, Gebeten, Begegnung mit Geistern.
Und der Klarheit der Stille, wenn alles andere schläft.
Doch das Wunder des Morgens - Dank dafür! - will ich den anderen gönnen.

(Thorsten Latzel, Leiter der Evangelischen Akademie Frankfurt)