In seiner Sitzung vom 23.9.2021 hat der Kirchengemeinderat nach wiederholter Beschäftigung mit Fragen der Gottesdienstordnung einstimmig beschlossen, dass die Gottesdienste in Ostrach und Wald künftig nicht mehr nach hohenzollerischer, sondern nach württembergischer Liturgie gefeiert werden.
Der Hintergrund: Wir haben nun mehr als 1 ½ Jahre lang mit einer verkürzten Liturgie Gottesdienst gefeiert, zeitweise ohne Gesang. Die Gemeinde hat an einer verschlankten und flexiblen Liturgie Gefallen gefunden. Die verkürzte Corona-Liturgie war im Grunde die württembergische (ohne weitere Schriftlesung und mit einem Lied weniger). Nun sind wieder (falls nicht eine erneute Warnstufe greift) ausführlichere Gottesdienste möglich. Wir fanden, es sei der richtige Zeitpunkt, zu überlegen ob wir liturgisch wieder „nach Hohenzollern zurück“ oder „richtig württembergisch“ werden wollen.
Die Argumente:
- Bei der Angliederung der ehemaligen hohenzollerischen Kirchengemeinden an die württembergische Landeskirche wurde 1950 vereinbart, dass diese Kirchengemeinden die hohenzollerische Liturgie beibehalten dürften, „so lange die Gemeinden es wünschten“. Wir wünschen es nicht mehr.
- Die evangelische Kirchengemeinde Ostrach und Wald existiert erst seit 1951, also seit einer Zeit, in der es die hohenzollerische Kirche als eigenständige Größe schon nicht mehr gab. Die Gemeinde hat keine lange oder tief verwurzelte hohenzollerische Tradition. Sie wurde durch den Zufall hohenzollerisch, dass sie anfangs von einem Pfarrer aus Sigmaringen betreut worden war, der diese Liturgie mitbrachte. Ostrach hat traditionell württembergische, hohenzollerische und badische Ortsteile.
- Die Generation der aus Osteuropa zurückgesiedelten Gemeindeglieder, die seit den 50er Jahren in Ostrach und auch in der hohenzollerischen Liturgie heimisch geworden war, ist zum Teil verstorben und zum Teil zu gebrechlich für den Gottesdienstbesuch. Sie kommt fast nicht mehr vor. Manche (z.B. Gemeindeglieder, die aus Siebenbürgen stammen), kennen dagegen die Melodie des württembergischen „Ehr sei dem Vater“ aus der lutherischen Heimatgemeinde ihrer Jugend.
- Für manche aus anderen Teilen Württembergs zugezogenen Gemeindeglieder ist die hohenzollerische Liturgie fremd gewesen und fremd geblieben.
- Die Konfirmanden wuchsen bisher in einer „liturgischen Insel“ auf. Sie lernten Formen und Melodien kennen, die ihnen anderswo kaum wieder begegneten.
- In einer Zeit des Traditionsabbruchs wirken eher hochkirchliche Liturgien für viele Menschen befremdlich. Wir brauchen derzeit eher elementarere Formen des gottesdienstlichen Feierns (Musik, Lieder, Gebete, Stille, Schriftlesung, Predigt, Segen). Die württembergische Liturgie ist deutlich elementarer als die hohenzollerische. „Objektive“ Elemente wie Psalmen und das Vaterunser können vor zu viel "Subjektiv-Authentischem" schützen und haben eine Entlastungsfunktion. Weithin nicht mehr verstandene Elemente wie Kyrie, Gloria und Halleluja erzeugen aber eher Fremdheitserlebnisse.
Vielleicht entwickeln sich einmal wieder komplexere Formen des Feierns – aber jetzt sind sie, zumal in unserer kleinen Gemeinde, als Regelform nicht „dran“. - Auch die hohenzollerische Liturgie war ein Zwischenstand einer liturgischen Tradition. Z.B. sind ehemalige Wechselgesänge zwischen Pfarrer und Gemeinde zu gesprochenen Voten des Pfarrers und einer gesungenen Antwort der Gemeinde vereinfacht worden. Oder: Im Anfangsteil des Gottesdienstes findet sich ein "Ehre sei dem Vater", das auf einen Introitus-Psalm antwortete, der aber schon weggefallen war. - Während an den württembergischen Gottesdienstbüchern fortwährend gearbeitet worden ist und gearbeitet wird, war der hohenzollerische Gottesdienst auf einem Stand von 1895 „eingefroren“. In den einzelnen Gemeinden des "hohenzollerischen Halbmonds" gab es zwar verschiedene und unabgestimmte Veränderungen. Es fehlt heute aber das Umfeld einer eigenständigen hohenzollerischen Kirche, die diese Tradition weiterentwickeln könnte.
Uns war bei der Entscheidung bewusst, dass wir uns damit von einer jahrzehntelangen Tradition verabschieden. Allerdings sehen wir auch, dass Geschichte, Gesellschaft und sogar Kirche sich entwickeln und verändern. Zu einer evangelischen Gemeinde gehört der Bezug zur biblischen Quelle und auch zur gewachsenen theologischen und liturgischen Tradition. Manche Seitenäste oder Zwischenstationen hatten aber ihre Zeit und dürfen verabschiedet werden, wenn wir nicht zu einem Museum werden wollen.
Unsere Entscheidung ist ans Dekanat und den Oberkirchenrat übermittelt worden.